15.02.2021Spitzenkandidaten bekennen sich zum Handwerk
Präsident und Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer im persönlichen Gespräch mit den Spitzenkandidaten der rheinland-pfälzischen Landtagswahl
„Wir werden auf jeden Fall weiter unterstützen, wenn es um Investitionen in die Zukunft geht“, verspricht Ministerpräsidentin Malu Dreyer auf die Frage des Hauptgeschäftsführers Dr. Till Mischler, ob sie eine Verstetigung des neuen Landesprogramms „Digiboost“ zusagen könne. Gemeint ist ein Förderprogramm, das die Landesregierung in den nächsten Wochen für kleine und mittlere Betriebe, die Digitalisierungsvorhaben umsetzen möchten, an den Start bringt. „Handwerk muss mit der Zeit gehen“, findet auch Daniela Schmitt und stellt erforderliche Landesmittel für eine moderne, digitale Ausstattung der Ausbildungszentren mit bester Lehr- und Lernumgebung für den handwerklichen Nachwuchs in Aussicht. Für den Spitzenkandidaten der Landes-CDU, Christian Baldauf, ist die Digitalisierung sogar „Chefsache“. Diese Zusagen entlockten der Kammerpräsident Dirk Fischer und der Hauptgeschäftsführer den jeweiligen Spitzenkandidaten der Parteien, die sie zu Einzelgesprächen in die Hauptverwaltung nach Kaiserslautern eingeladen hatten. Wenige Wochen vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl bat die Hausspitze der Handwerkskammer Malu Dreyer (SPD), Christian Baldauf (CDU), Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen), Michael Frisch (AfD) und Daniela Schmitt (FDP), zu den aktuellen handwerkspolitischen Themen Rede und Antwort zu stehen. Auch die Mitglieder der Vollversammlung der Handwerkskammer hatten die Möglichkeit, im Vorfeld ihre Fragen an die Politiker zu adressieren. Auf der Agenda standen die Themenblöcke Digitalisierung in den Berufsbildungs- und Technologiezentren und in den pfälzischen Handwerksbetrieben, Mobilität, Nachwuchs- und Fachkräftesicherung sowie die Hilfen für die Betriebe nach der Corona-Krise und das Handwerk in der Gesellschaft der Zukunft.
Mobilität in Rheinland-Pfalz: Azubi-Ticket
„6.000 Auszubildende im pfälzischen Handwerk müssen täglich zu ihrem Ausbildungsplatz, der Berufsschule und der überbetrieblichen Ausbildungsstätte der Handwerkskammer kommen. Aus einer Befragung geht hervor, dass die Auszubildenden den ÖPNV zu teuer, zu unflexibel und zu schlecht getaktet finden. In acht Bundesländern gibt es bereits ein kostengünstiges Azubi-Ticket, warum nicht auch bei uns?“, fragt Dirk Fischer. Umwelt- und Familienministerin Anne Spiegel will die Einführung eines Tickets, das zu einem Jahrespreis von 365 Euro erhältlich sei, im neuen Koalitionsvertrag verankern: „Ich kann mir gut vorstellen, so ein 365-Euro-Ticket für Jugendliche ab dem Jahr 2022 umzusetzen. Damit einhergehend müssen natürlich auch das Nahverkehrsnetz ausgebaut und Schienen reaktiviert werden.“ Hauptgeschäftsführer Mischler dazu: „Es ist nicht akzeptabel, dass ein derartiges Modell an den unterschiedlichen Verkehrsverbünden scheitert. Man muss hier über die Verbundgrenzen hinaus denken und ein pfalzweites Ticket anbieten.“
Hochschulen und Handwerk
„Wie stehen Sie zum Thema ‚Praxis trifft Forschung‘?“, fragt Dirk Fischer und meint damit die Kooperation zwischen Universitäten, Hochschulen und Handwerk. Dass es besonders mit den technisch geprägten Handwerksberufen viele Berührungspunkte gibt, liegt auf der Hand. „Wir werden in Rheinland-Pfalz nur vorankommen, wenn wir die Vernetzung dieser Institutionen stärken. Es wäre denkbar, ein eigenes Landesprogramm für die Förderung aufzulegen und gemeinsam einen Masterplan zu erarbeiten, der aufzeigt, wo wir in zwei bis drei Jahren stehen wollen“, ist Christian Baldauf von der Notwendigkeit derartiger Kooperationen überzeugt. Auch für die Ministerpräsidentin ist die Verbindung zwischen Hochschule und Handwerk eines der Zukunftsfelder des Landes.
Die Forderung der AfD nach einer Handwerks- und Gewerbeschule erläutert der Spitzenkandidat der Partei, Michael Frisch: „Wir wollen neben den Gymnasien anstatt einer Realschule plus eine reine Realschule auf einem höheren schulischen Niveau und eine Handwerks- und Gewerbeschule, die praktisch begabte Schülerinnen und Schüler an eine duale Ausbildung heranführen soll.“ Er kritisiert die mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Schulabgänger der Realschulen plus.
Hauptgeschäftsführer Mischler gab zu bedenken, dass das Handwerk auch Schülerinnen und Schüler der Gymnasien adressiere, um sie für die neuen, technisch anspruchsvollen Handwerksberufe zu gewinnen. Verstärkt in den Gymnasien für das Handwerk werben will auch Christian Baldauf, der anregt, verpflichtende Handwerkspraktika bereits in den Lehrplänen der Mittelstufen der weiterführenden Schulen zu verankern.
Nachwuchs- und Fachkräftesicherung
Ministerin Spiegel schlägt vor, handwerkliches Gestalten bereits spielerisch in den Kitas einzubringen. „Hier sollte man es nicht dem Zufall überlassen, ob eine Kita durch ehrenamtliche Helfer in der Lage ist, Kinder Materialien wie Holz ausprobieren zu lassen. Die frühkindliche Beschäftigung mit dem Handwerk sollte fester Bestandteil in Kitas werden.“ Später sei ein Praktikum immer eine gute Wahl, sagt Spiegel und bekräftigt ihren Vorsatz, mehr Mädchen für MINT-Berufe begeistern zu wollen. „Das Handwerk muss die Chance haben, sich im Schulunterricht abzubilden“ antwortet Malu Dreyer auf Mischlers Frage nach einem Pflichtpraktikum im Handwerk für Schülerinnen und Schüler aller weiterführenden Schulen. Man müsse darüber diskutieren, ob das Stundenkontingent entsprechend erhöht werden könne. Ebenso werde man in Ferienprojekte weiter investieren. Auch Baldauf möchte die frühkindliche Bildung stärken: „Kinder müssen als grundlegende Fähigkeit unsere Sprache beherrschen, wenn sie in die Schule kommen. Für das ganze weitere Lernen und auch die Ausbildungsfähigkeit ist dies die Grundvoraussetzung.“
Mischler gab zu bedenken, dass der Trend zu Abitur und Studium und die dadurch steigende Akademisierungsrate den Ausbildungsmarkt enorm unter Druck setze. Die Politik müsse Maßnahmen ergreifen, um die berufliche Bildung zu stärken und sie der akademischen Bildung in der Finanzierung gleichzusetzen. Die Gleichwertigkeit in den Köpfen zu verankern, müsse eine Daueraufgabe sein, stimmt Staatssekretärin Daniela Schmitt zu: „Das ist eine Haltungsfrage, auch bei den Eltern der jungen Menschen.“ Um diesen Prozess zu unterstützen, sollen für den Einsatz von Markenbotschaftern, die für das Handwerk werben, und die Stärkung der Berufsorientierung an den Schulen Mittel zur Verfügung gestellt werden, so Schmitt.
Das Handwerk in der Gesellschaft der Zukunft
Zur Rolle des Handwerks in der Gesellschaft der Zukunft sagte Dreyer: „Das Handwerk ist der Kern unseres Mittelstands.“ Auf die Frage nach Hilfspaketen des Landes für die von der Corona-Krise stark betroffenen Gewerke verweist die Ministerpräsidentin auf die Bundesförderung: „Das Land wird in die Zukunft investieren und für den Neustart nach der Pandemie Förderprogramme zur Verfügung stellen“. Mischler und Fischer fordern die Landesregierung auf, verstärkt auf die Bundesregierung einzuwirken, damit den notleidenden Betrieben die finanziellen Hilfen schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden.
Mischler und Fischer appellierten an die politischen Entscheidungsträger, bei allen künftigen Konzepten und Programmen als Handwerkskammer mit einbezogen und gehört zu werden. Auch bei anderen handwerkspolitischen Themen wünsche man sich eine engere Zusammenarbeit und die Berücksichtigung der Expertise der Handwerkskammer.
Fischer und Mischler verabschiedeten die Gäste mit dem Versprechen, die weitere Entwicklung und Arbeit der neuen Landesregierung und der Opposition aufmerksam zu begleiten. An ihren Zusagen werden sich die jeweiligen Parteispitzen in der neuen Legislaturperiode messen lassen müssen.