Interview - 03.12.2021 - erschienen in: Deutsches Handwerksblatt Nr. 20, Regionalausgabe PfalzVon der Mitarbeiterin zur Chefin
Zehn Jahre lang war Alice Demessier Mitarbeiterin der Hajok GmbH in Ludwigshafen. Mit einem dualen Studium und einem motivierten Mitarbeiter-Team im Rücken wagte sie nun den Schritt in die Selbstständigkeit und übernahm den Betrieb zum 1. September.
Die Suche nach einem Nachfolger für den eigenen Handwerksbetrieb stellt viele Inhaber vor große Herausforderungen. Der Betrieb für Sanitär, Heizung und Klimatechnik (SHK) Hajok GmbH in Ludwigshafen hat seine Nachfolgerin bereits gefunden: Die 32-jährige Alice Demessier hatte schon während ihrer Beschäftigung im Betrieb ein duales Studium zur Betriebswirtin mit erfolgreichem Masterabschluss absolviert. Nach zehn Jahren als Mitarbeiterin des Betriebes wagte sie nun zum 1. September den Schritt in die Selbstständigkeit und übernahm das Unternehmen, das mittlerweile als „Hajok Wasser + Wärme GmbH“ geführt wird. Mit übernommen hat sie fünf Techniker und zwei Auszubildende. Bei der täglichen Arbeit wird sie durch einen fachkundigen SHK-Meister unterstützt, der für die technische Betriebsleitung verantwortlich ist.
Wir haben uns mit der Quereinsteigerin über die Betriebsübernahme unterhalten, ihre Erfahrungen als Frau in einem typischen Männerberuf und wie sie die täglichen Herausforderungen zusammen mit ihrem Team meistert.
Handwerkskammer: Während Ihrer Tätigkeit bei der Firma Hajok haben Sie ein duales Studium zum Master der Betriebswirtschaft absolviert. Welchen Nutzen bringt Ihnen das Studium nun bei der Betriebsübernahme?
Demessier: Das duale Studium hat es mir ermöglicht, von Anfang an direkt praktisch mitzuarbeiten. Betriebswirtschaftliche und personalpolitische Grundlagen sind wesentlich für die Führung und den Erfolg eines Betriebes. Die Kombination aus Theorie und Praxis hilft mir bis heute bei wesentlichen Entscheidungen, wie auch bei der strategischen Neuausrichtung für die Zukunft. Ich nenne hier nur die Digitalisierung, die meines Erachtens im Handwerk unbedingt angegangen werden muss.
Handwerkskammer: Was hat Sie motiviert, den Handwerksbetrieb zu übernehmen?
Demessier: Ausschlaggebend für meine Entscheidung waren definitiv meine positive Erfahrung mit dem bisherigen Inhaber, die Zusammenarbeit mit dem hochmotivierten Mitarbeiterteam und auch die Akzeptanz der Kunden und Lieferanten. Unterstützt hat mich unter anderem auch die professionelle Beratung der Handwerkskammer und nicht zuletzt das Engagement der Bank. Außerdem kann ich mir mein Berufsleben außerhalb des Handwerks nicht vorstellen.
Handwerkskammer: Wie ging die Übernahme des Betriebes vonstatten und welche Hindernisse sind Ihnen dabei begegnet?
Demessier: Die Übernahme war tatsächlich von einem ungeheuren Zeitdruck und erheblichen bürokratischen Hürden geprägt. Hilfe bekam ich jedoch von meiner Familie und dem großartigen Team, bestehend aus Anwalt, Controller und Wirtschaftsprüfer.
Handwerkskammer: Sie haben die Hajok Wasser + Wärme GmbH neu gegründet. Welche Vorteile versprechen Sie sich davon?
Demessier: Die Neugründung war notwendig, da die bisherige Firma administrativ noch abgewickelt werden musste. Es geht hier zum Beispiel um Aufträge, die vor dem Übernahmetermin durchgeführt wurden und bei denen die Zahlungen noch der bisherigen Firma zustehen. Ich sehe das aber als Vorteil, denn es gibt eine klare Abgrenzung und wir fingen am 1. September neu an.
Handwerkskammer: Sie haben die Betriebsberatung der Handwerkskammer in Anspruch genommen. In welchen Bereichen konnten Sie davon besonders profitieren?
Demessier: Die unabhängige Beratung der Handwerkskammer hat mir viele Hinweise und Informationen gegeben. Alle meine Fragen wurden diskutiert und mir wurden auch ganz offen mögliche Risiken aufgezeigt. Über das ausführliche Gespräch, das leider Covid-bedingt nur via PC geführt werden konnte, hat die Beraterin, Silke Eichten, ein detailliertes Protokoll erstellt, das ich als Basis für weitere Überlegungen zur Übernahme bzw. Neugründung sehr gut nutzen konnte.
Handwerkskammer: Welche Aktivitäten haben Sie geplant, um Fachkräfte an Ihr Unternehmen zu binden?
Demessier: Das Thema Fachkräftemangel war schon Gegenstand meiner Master-Arbeit und ist auch heute sehr aktuell. Es ist wichtig, dass man den Mitarbeitern Perspektiven aufzeigt, sie motiviert und auch in Entscheidungen, die die Firma betreffen, mit einbindet. Eine große Umstellung wird die Digitalisierung mit sich bringen, aber ich bin sicher, dass sich dadurch auch jüngere potenzielle Mitarbeiter angesprochen fühlen. Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar, dass ich ein super Team habe.
Handwerkskammer: Welche Tipps würden Sie anderen Frauen im Männerhandwerk und potenziellen Übernehmerinnen sowie Quereinsteigerinnen mit auf den Weg geben?
Demessier: Sich genau mit der Situation, den Vor- und Nachteilen auseinandersetzen. Sich beraten lassen – es gibt keine dummen Fragen! Sich klarmachen, dass Handwerk immer noch eine Männerwelt und der Ton oft rau ist. Frauen ansprechen, die bereits Erfahrungen in der Branche haben. Die Handwerkskammer kann hier sicher vermitteln. Mir hat geholfen, dass ich schon lange im Betrieb war und die Kollegen mich kennen und akzeptieren – sowohl in meiner bisherigen kaufmännischen Position wie auch jetzt als Chefin.
Zur Sache
Mindestens 100.000 Handwerksbetriebe suchen Betriebsnachfolger auf bundesweiter Ebene. Auch im Kammerbereich Pfalz haben sich bereits viele Unternehmen in die Börse „Nexxt-Change“ eingetragen. Hier können potenzielle Betriebsübergeber eine passende Nachfolge finden. Die Übernahme bietet den Vorteil, dass neben Kunden und Aufträgen auch Mitarbeiter, Werkzeuge, Maschinen und Räumlichkeiten übernommen werden können. Interessierte Betriebsnachfolgende können sich die Zahlen, Strukturen und Arbeitsprozesse im Vorfeld genau anschauen. Die Betriebsberater der Handwerkskammer unterstützen bei den einzelnen Schritten des Übernahmeprozesses. Sie helfen bei der Gesprächsanbahnung, bewerten die zu übergebenden Betriebe und unterstützen bei der Beantragung von Fördergeldern für die Nachfolgeperson. Kontakt zur Betriebsberatungsstelle der Handwerkskammer: Silke Eichten, Tel.: 0621/53824-81; E-Mail: seichten@hwk-pfalz.de.