14.10.2022 - erschienen in: Deutsches Handwerksblatt Nr. 16, Regionalausgabe PfalzWie geht's dem Handwerk?
Zusehends belasten die steigenden Energiepreise das pfälzische Handwerk. In einem virtuellen Autausch der Vollversammlungsmitglieder der Handwerkskammer der Pfalz erhielt Kammerpräsident Dirk Fischer ein aktuelles Stimmungsbild.
Steigende Energie- und Materialpreise, Lieferengpässe und zu wenig Fachkräfte – viele Handwerksbetriebe kämpfen zurzeit mit diesen Schwierigkeiten, die sie zum Teil sogar existenziell bedrohen. Um ein aktuelles Stimmungsbild aus dem pfälzischen Handwerk zu bekommen, tauschten sich der Präsident der Handwerkskammer der Pfalz, Dirk Fischer und Hauptgeschäftsführer Dr. Till Mischler am 21. September mit Mitgliedern der Vollversammlung aus. Darunter waren Betriebsinhaber und Beschäftigte im Handwerk sowie Innungsobermeister, die über die Situation der ihnen angeschlossenen Innungsbetriebe berichten konnten. Sie schilderten, was ihnen im jeweiligen Gewerk besondere Sorgen bereitet. Hauptgeschäftsführer Mischler unterstrich die Bedeutung des Austauschs: „Uns ist dieses Meinungsbild sehr wichtig, weil wir so aus erster Hand erfahren können, wo die Hauptprobleme liegen und wie wir gemeinsam dagegen steuern können. So können handwerkspolitische Forderungen untermauert und gezielte Beratungs- und Lösungsansätze erarbeitet werden.“
Das seit Monaten währende multiple Krisenszenario setzt vielen Gewerken zu. Viele Betriebe haben noch mit den Spätfolgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Besonders die damals vom Lockdown betroffenen Friseure und Kosmetiker konnten die Umsatzeinbußen aus dieser Zeit noch nicht vollständig aufholen oder müssen zurzeit Rückzahlungen der in 2020 ausgezahlten Soforthilfen leisten. Darüber hinaus treiben viele Betriebe die explodierenden Energie- und Materialkosten um. Besonders betroffen sind die energieintensiven Gewerke wie Friseure oder Bäcker. In der Gesamtschau zeigt sich die Situation im pfälzischen Handwerk zwar relativ heterogen, doch Unsicherheiten bei der Kostenentwicklung, die mangelnde Planungssicherheit und die damit verbundene Angst vor der Zukunft ziehen sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Gewerke.
Bei den Bäckern sei die Materialversorgung zwar einigermaßen gesichert, doch die hohen Bezugspreise für Rohstoffe wie Mehl und Butter seien ein sehr großes Problem. Die Preise hätten sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Diese Erhöhung könne man nicht vollständig an die Kunden weitergeben, da man sonst weniger Waren verkaufe und man am Ende des Tages keinen Cent mehr in der Kasse habe. Bei den Betrieben, deren Stromvertrag ausläuft, drohten ab Januar dramatisch erhöhte Stromkosten. Habe der Stromkostenanteil früher bei diesem Betrieb ca. 6 bis 7 % der Gesamtkosten betragen, so habe sich dieser nun auf etwa 30 % erhöht. Personalmangel in der Backstube sowie im Verkauf komme erschwerend hinzu.
Auch die Friseure beklagen die hohen Energiepreise, die sie aufgrund ihres hohen Warmwasser- und Heizungsbedarfs besonders hart treffen. Auch gebe es Lieferschwierigkeiten bei einzelnen Materialien. Man registriere, dass die Kunden aus Geldmangel seltener in den Salon kämen. Um die Preise einigermaßen stabil zu halten, hat ein Friseursalon seit dem 1. September die 4-Tage-Woche eingeführt. Die Belegschaft arbeitet von Dienstag bis Freitag; von Samstag bis Montag ist der Salon geschlossen. Arbeitsstunden und Löhne blieben gleich, es gebe weniger zeitliche Lücken zwischen den einzelnen Kunden und man spare durch das Absenken der Raumtemperatur am verlängerten Wochenende etwa ein Drittel Energie ein. Dieses Modell werde von den Beschäftigten gut angenommen und sei auch attraktiv für die Gewinnung von neuen Fachkräften. Der Umsatz sei seit der Einführung der 4-Tage-Woche auf gleichem Niveau geblieben, die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten.
Im Tischlerhandwerk ist die Situation unterschiedlich. So sei beispielsweise die Auftragslage davon abhängig, ob man mehr für die Industrie oder Privatkunden tätig sei. Letztere seien mit Aufträgen an Möbelschreiner derzeit eher zurückhaltend. Die Auslastung bei Industriezulieferbetrieben sei dagegen derzeit noch sehr gut. Insgesamt sehe man in der Werkstatt eher weniger Energieeinsparpotenzial; einige Betriebe können durch thermische Verwertung ihren Gasverbrauch reduzieren und die Heizkosten stabil halten.
Die Stundenlöhne der Beschäftigten wurden mancherorts leicht erhöht. Die Kunden zeigten in der Regel viel Verständnis für moderate Preiserhöhungen. Auffällig sei, dass der Preis für Glas und somit für Fenster stärker gestiegen sei. Da die Bezugspreise für Material ständigen Schwankungen unterlägen, haben einige Betriebe eine zeitliche Begrenzung für die Gültigkeit ihrer Angebote eingeführt.
Im Straßenbau sei die Auslastung bei den Innungsbetrieben bis zum Jahresende noch gut. Es würden derzeit vielfach noch Auftragsaltbestände abgearbeitet. Man stelle aber besonders in den letzten beiden Monaten fest, dass die Anfragen – insbesondere aus dem Hochbau und dem Industriebau – stockten. Man verzeichne eine 25- bis 30-prozentige Steigerung bei den Materialpreisen. Bei der Produktion von Materialien wie Beton, Steinen und Dämmstoffen fiele der hohe Gaspreis besonders ins Gewicht. Hier gebe es keinerlei Preissicherheit. Im privaten Bausektor verzeichne man viele Auftragsstornierungen, weil oft die Baufinanzierung durch die Preisentwicklung gefährdet sei. Erschwerend käme der Facharbeitermangel in den Baugewerken dazu.
Auch im Kfz-Handwerk liegen die Einkaufspreise deutlich höher als noch vor ein bis zwei Jahren. Es gebe derzeit wenige Neu- und Gebrauchtfahrzeuge auf dem Markt. Zwar bestehe ein hohes Interesse an Elektrofahrzeugen, doch hier müsse man mit Lieferzeiten bis zu einem halben Jahr rechnen. Negativ zu Buche schlage, dass die Fördermodalitäten für Elektrofahrzeuge lange Zeit unklar waren. In den Betrieben hätten sich die Kosten für die Stromversorgung jährlich um das Zweieinhalbfache von etwa 7 bis 8 Tausend auf rund 20 Tausend Euro erhöht. Man stelle fest, dass die Werkstattbesuche seltener geworden seien, weil die Kunden an der Autowartung sparten. Die Auslastung sei insgesamt derzeit noch gut, doch die aktuelle Kaufzurückhaltung lasse für die Zukunft nichts Gutes vermuten. Es gebe von Seiten der Hersteller und Finanzierungsbanken derzeit auch keinerlei Sonderkonditionen oder Prämien zur Autofinanzierung, die den Kaufanreiz für Kunden verstärken würden.
Im Elektrohandwerk sei die Nachfrage derzeit noch gut. Sollten allerdings große Kundenaufträge, zum Beispiel aus der Industrie zukünftig wegfallen, würde das die Lage schnell und dramatisch ändern. Die Materialbeschaffung gestalte sich nach wie vor schwierig. Die damit verbundenen langen Auftragsabarbeitungszeiten bergen das Risiko einer langen Vorfinanzierung der Kosten durch die Betriebe.
Viele Raumausstatter seien von den hohen Energiekosten nicht ganz so stark belastet, aber man spüre eine deutliche Verunsicherung bei den Kunden und damit verbunden eine größere Kaufzurückhaltung. Man vermisse koordinierte Entlastungsmaßnahmen aus der Politik und beklage unnötig hohe bürokratische Hürden bei der Beantragung von finanzieller Unterstützung. Auch hier seien die sich wöchentlich ändernden Bezugspreise eine Herausforderung. Diese Probleme seien bereits in vielen Betrieben gegenwärtig. Den zurückgehenden Wohnungsbau bzw. Hauskauf spüre auch die Innenausstatter-Branche. Die finanziell angespannte Lage in manchen Betrieben führe auch zu vermehrten Austritten aus der Innung; dies sei keine gute Entwicklung.
Dagegen sieht das Schornsteinfegerhandwerk im Moment noch keinen Grund zur Klage. Es gebe viel Arbeit und einen noch höheren Beratungsbedarf. Viele Kunden möchten ihre Heizquelle umstellen, seien jedoch extrem verunsichert. Es gebe viele Fragen nach der Rentabilität, Kosten und baulichen Möglichkeiten. Beim Austausch einer alten Heizanlage in Kombination mit energetischen Sanierungsmaßnahmen fielen nicht selten Beträge zwischen 50 und 60 Tausend Euro an. Dazu käme, dass auch die Preise für Pellets, Holz und Erdöl stark gestiegen seien. Vermutlich würden sich die Energiepreise dauerhaft auf einem hohen Niveau einpendeln. Viele Kunden seien mit Blick auf den kommenden Winter regelrecht verängstigt. Sie fühlten sich alleine gelassen mit der Heizproblematik und durch das mitunter erratische politische Handeln fehle es an Planungssicherheit. Einige Betriebe würden auch aufgrund der Lohnsteigerungen im nächsten Jahr die Preise erhöhen.
Auch das Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnikerhandwerk (SHK) beklagt Lieferschwierigkeiten: Es gebe aktuell zwar sehr viele Nachfragen nach Wärmepumpen, doch seien diese nicht vor Mitte 2023 lieferbar und zudem 30 bis 40 % teurer geworden. Achtung sei bei den vermehrt angebotenen unzertifizierten Produkten geboten, die die Sicherheitsanforderungen nicht oder nur unzureichend erfüllten. Viele SHK-Betriebe verzeichnen täglich mehrere derartige Anfragen, die aufgrund der Liefersituation und der Preisschwankungen schwierig zu beantworten seien. Viele Lieferanten hielten sich den Preis der Anlage bis zur Auslieferung offen. Man spüre auch hier den Rückgang im Neubaubereich, doch wünschten viele Kunden einen Austausch der Heizquelle. Der Beratungsbedarf sei auch hier sehr hoch: So müsse die Wärmepumpe an die Beschaffenheit der Gebäudehülle und weitere Parameter angepasst sein, damit sie effizient arbeite. Darüber hinaus gebe es einen eklatanten Mangel an Fachkräften, der die Löhne explodieren ließe. Dies habe zur Folge, dass Betriebe sich verkleinern müssten oder ganz vom Markt verschwänden. Mit den derzeitig verfügbaren Fachkräften sei die aktuelle Nachfrage jedenfalls nicht zu bewältigen.
Die Zimmerer und Dachdecker stellen fest, dass Materialien – wie eine bestimmte Sorte Dachziegel – zurzeit gar nicht verfügbar seien. Teilweise sei aufgrund der hohen Energiepreise die Produktion der Ziegel einfach eingestellt worden. Dies führe dazu, dass der ausführende Betrieb nicht in jedem Fall auf alternative Materialien ausweichen könne und deshalb vertragsbrüchig werde. Vielfach müsse man auf die Materialien zurückgreifen, die im Moment am Markt verfügbar seien und könne nicht immer auf Kundenwünsche eingehen. Die Holzversorgung und das preisliche Niveau haben sich im Vergleich zum Vorjahr etwas entspannt, allerdings sei nach wie vor mit langen Lieferzeiten zu rechnen. Der Energieeinsatz in diesen Gewerken sei in der Regel nicht so hoch wie in anderen Gewerken, allerdings spüre man auch hier den Rückgang bei Neubauten. Aufgrund der stark gestiegenen Heizkosten gebe es zwar mehr Sanierungsaufträge, doch sei unklar, ob dies auch künftig so bliebe. Passivhäuser und Gebäude mit guter Dämmung seien das Konzept für die Zukunft.
Von Seiten der Arbeitnehmer im Handwerk werden Zukunftssorgen artikuliert. So sei etwa die Stimmung bei den Beschäftigten im Straßenbauerhandwerk auf dem Tiefpunkt, weil man spüre, dass sowohl die privaten Hausbauer als auch die Kommunen sich bei den Ausschreibungen sehr zurückhaltend verhielten. Man sorge sich um das nächste Jahr. Bei den Beschäftigten machten sich Existenzängste breit, denn der Lohn reiche bestenfalls gerade noch für Miete, Strom, Heizung und Lebensmittel. Die massive Erhöhung der monatlichen Abschlagszahlungen für Energie träfe viele Arbeitnehmer und ihre Familien besonders hart. Diese Mehrkosten in Verbindung mit der hohen Inflationsrate seien voraussichtlich nicht durch die anstehenden Tarifrunden zu kompensieren. Die Folge sei immer öfter eine Abwanderung der Fachkräfte zur besser bezahlenden Industrie – damit drohe das Handwerk förmlich auszubluten. Der Facharbeitermangel sei ohnehin schon eklatant.
Die Handwerkskammer der Pfalz habe bis jetzt noch keine Insolvenzwelle zu beklagen, was aber auch damit zusammenhängen könne, dass noch nicht überall die neuen Abschlagsrechnungen der Energieversorger angekommen seien. Man spüre auch in den Beratungsgesprächen große Unsicherheit und Ängste bei den Betrieben. Erschwerend kämen in vielen Gewerken große Fachkräfte- und Materialprobleme hinzu.
Präsident Fischer dankte den Vollversammlungsmitgliedern für die rege Beteiligung und stellte abschließend fest, dass sich Zukunftsängste und die Unsicherheit bei Kunden, Betrieben und Arbeitnehmern durch alle Branchen hinweg breitmachten. Man fürchte die Schließung von Betrieben, die die Last nicht mehr stemmen können: „Nicht nur kleinere Betriebe könnten davon betroffen sein. Deshalb fordere ich von der Politik, schnellstmöglich wirksame Maßnahmen zu treffen, um diese Entwicklung abzuwenden und die galoppierenden Energiepreise einzudämmen. Sie stellen eine massive Bedrohung für das Überleben vieler pfälzischen Handwerksbetriebe dar. Zusammen mit den Unwägbarkeiten beim Materialbezug und der hohen Inflationsrate ist die Lage brandgefährlich“, mahnt Kammerpräsident Fischer dringenden Handlungsbedarf an. Als sicheres Indiz dafür, dass sich die Auftragsbücher im nächsten Jahr leeren werden, sieht Präsident Fischer die jetzt schon deutlich spürbar gesunkene Nachfrage der Kunden nach Angeboten.
Die Betriebsberater der Handwerkskammer stehen den pfälzischen Mitgliedsbetrieben kostenfrei für Fragen zum Thema Energiepreise zur Verfügung und bieten darüber hinaus jederzeit betriebswirtschaftliche Beratungen zu den Themen Unternehmenskalkulation und Krisenbewältigung an. Kontakt: beratung@hwk-pfalz.de; Tel. 0631 3677-112.