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Betriebsbesuch Bäckerei Jülly in Lambsheim am 27.10.2022"Wir brauchen Taten statt Worte"

Wie ein gutgehender Traditionsbetrieb aufgrund der explodierenden Material- und Energiekosten ins Schlingern geraten kann, zeigt das Gespräch mit dem pfälzischen Bäckermeister Stefan Jülly und seinen Mitarbeitern.

„Wir hätten viel früher klare Ansagen gebraucht, was die Politik zu tun gedenkt, um energieintensive Betriebe wie uns zu entlasten. Wir müssen wissen, woran wir sind.“ Bäckermeister Stefan Jülly braucht Planungssicherheit und Klarheit über die politischen Rahmenbedingungen. Um nicht von den steigenden Energiekosten erdrückt zu werden, hat er einen Flüssiggastank für seine Bäckerei in Lambsheim (Rheinland-Pfalz) bestellt. „Zurzeit bezahle ich in meinem alten Vertrag noch einen Arbeitspreis von rund vier Cent pro Kilowattstunde Erdgas, für Flüssiggas muss ich zehn Cent zahlen. Das ist zwar teurer, aber bei weitem noch nicht so teuer wie die Weiternutzung von Erdgas, für das ich ohne den Gaspreisdeckel ab Januar 2023 26,7 Cent hätte zahlen müssen. Und davon musste ich ausgehen, als ich die Entscheidung für den Flüssiggastank zu treffen hatte“, rechnet der Unternehmer vor.

Drastische Verteuerung von Rohstoffen und Energie
Für die Umrüstungskosten der Maschinen im Betrieb hat Stefan Jülly etwa 10 bis 12 Tausend Euro veranschlagt. Ohne zu wissen, ob diese Investition langfristig und somit rentabel sein wird, musste er schon im Oktober über die Anschaffung entscheiden. Wenn der Gaspreisdeckel die Preise dauerhaft niedrig hält, könnte es sein, dass die Investition unrentabel wird. Zumal der Betriebsinhaber auch in Flüssiggas keine langfristige klimafreundliche Lösung sieht. Viel lieber wäre ihm eine umweltfreundliche Heiztechnik, doch an die ist in der Kürze der Zeit nicht zu denken. „Die Entscheidung für den Einsatz von Flüssiggas gibt mir im Moment eine gewisse Planungssicherheit, da hier die Gefahr von Lieferengpässen geringer ist – und das ist entscheidend. Ich bin froh, wenn ich den Tank noch im Dezember bekomme, denn wir kämen nicht über die Runden, wenn ich nur für den reinen Arbeitspreis von Gas – also ohne Steuern und Abgaben – statt wie bisher 8 bis 9 Tausend Euro jährlich nun ab nächstem Jahr 95.000 Euro hätte zahlen müssen. Durch die Deckelung wird diese Summe nun immerhin auf das Dreifache des ursprünglichen Preises reduziert. Dazu kommen drastische Verteuerungen bei den Rohstoffen. Das Mehl kostet jetzt doppelt so viel wie im Vorjahr, Frischwaren wie Butter und Sahne sogar mehr als das Doppelte. Für ein Kilogramm Butter zahlen wir mittlerweile 10 Euro, vorher waren es 4 Euro. Wir sind froh, dass wir unsere Rohmaterialien aus regionalen Quellen beziehen, so sind wir wenigstens nicht von Lieferkettenproblemen betroffen und der Bezug ist gesichert“, erläutert Jülly die dramatische Lage des Betriebes.

Photovoltaikanlage soll Strompreis abmildern
Die steigenden Strompreise will der Bäckermeister so gut wie möglich mit einem bereits seit 2010 vorhandenen Blockheizkraftwerk sowie einer neuen großflächigen Photovoltaikanlage abmildern. „Letzte Woche haben wir die Verträge dafür unterschrieben; bis März oder April nächstes Jahr soll die Anlage geliefert und fertig montiert sein. Als Privatmann müsste ich gut zwei Jahre auf die Anlage warten, das würde der Betrieb nicht überstehen. Wenn diese Lieferzusage nicht eingehalten werden kann und im Januar neue Strompreise ins Haus flattern, wird´s heftig“, sorgt sich Stefan Jülly.

Getrieben von der Situation
Er beschäftigt 19 Mitarbeiter im Verkauf der Hauptbäckerei und den Filialen sowie in der Backstube und führt den Familienbetrieb in der dritten Generation. Seine Frau Isabel und sein Vater Wolfgang arbeiten in der Backstube mit, seine Mutter kümmert sich immer noch um einen großen Teil der anfallenden Arbeiten im Büro. 1972 hat der Seniorchef den 1949 gegründeten Betrieb von seinem Vater übernommen und 2016 vollständig an seinen Sohn übergeben, nachdem sie ihn einige Zeit gemeinsam führten. „Es gab schon öfter unruhige Zeiten und wir haben immer versucht, uns rechtzeitig darauf einzustellen. Bisher ist uns das auch ganz gut gelungen, aber eine derart gefährliche Kostenexplosion wie jetzt hatten wir noch nie“, erinnert sich der 73-jährige Seniorchef. „Wir haben früher auch investiert, doch da war alles planbarer. Wir waren uns des unternehmerischen Risikos bewusst und haben daraufhin fundierte Entscheidungen treffen können. Heute sind wir getrieben von der geopolitischen Situation und wissen nicht, was die nächsten Wochen bringen werden. Diese Unberechenbarkeit treibt uns um“, erklärt Stefan Jülly den Unterschied. Zudem spürt er die wachsende Kaufzurückhaltung der Kunden: „Die Menschen sparen auch an Lebensmitteln. Wir haben jetzt schon einen Umsatzrückgang von 8 bis 10 Prozent. Wir mussten die Preise schon anpassen, aber die Kosten können wir nicht vollumfänglich weitergeben. Viele Kunden sind mit den Preiserhöhungen nicht einverstanden. Die horrenden Material- und Energiekosten in Verbindung mit den Umsatzeinbrüchen werden für uns zum massiven Problem, wenn sich nichts ändert“, sagt Jülly. Er möchte den Betrieb weiterhin zukunftsfähig und klimafreundlich aufstellen. Die Photovoltaikanlage kostet etwa 150.000 Euro, doch diese Investition tätigt er gerne, weil diese Technologie Zukunft habe. Den Gaspreisdeckel beurteilt er ambivalent. Einerseits begrüßt er die staatliche Unterstützung, andererseits sieht er auch die Gefahr, dass dringend benötigte Einspareffekte durch eine Preisdeckelung verpuffen könnten und es doch zu Versorgungsengpässen kommen könnte.

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Mitarbeiter auch betroffen
Auch der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel im Bäckerhandwerk plagt ihn. „Ich bin sehr froh, dass ich mich wenigstens auf meine Gesellen verlassen kann. Sie identifizieren sich voll und ganz mit dem Betrieb und arbeiten sehr selbstständig“, lobt er die beiden Bäcker. Der aus Albanien stammende Granit Sulejmani ist seit sieben Jahren als Geselle im Betrieb und seine Arbeitsstelle gefällt ihm gut. Auch er spürt, dass er deutlich weniger Geld im Portemonnaie hat als vorher. Täglich legt er 50 Kilometer von und zur Arbeit mit dem Auto zurück und hat dafür etwa 120 bis 140 Euro Mehraufwand an Benzinkosten im Monat. Wegen seiner nächtlichen Arbeitszeit in der Backstube kommt für ihn keine Fahrgemeinschaft oder die Nutzung von Bus und Bahn in Frage. Auch die höheren Preise beim Familieneinkauf sowie die sich verdoppelnden Abschlagszahlungen für Energie schlagen kräftig zu Buche. „Es dauert sicher länger, bis wieder einigermaßen Normalität einkehrt“, befürchtet Sulejmani. Obwohl er bei den höheren Kosten für Wohnung, Essen und Benzin selbst finanzielle Unterstützung gebrauchen könnte, wünscht er sich in erster Linie staatliche finanzielle Hilfen für den Betrieb zur Sicherung seines Arbeitsplatzes. Sein Kollege Dominik Gasser lebt 16 Kilometer von seinem Arbeitsort entfernt und hat monatliche Mehrkosten an Fahrgeld von etwa 60 bis 80 Euro. Er lebt allein, sorgt sich aber auch wegen der steigenden Kosten und bangt um seinen Arbeitsplatz. Er wünscht sich, dass politische Entscheidungen schneller getroffen werden und der Ausbau der erneuerbaren Energien zügiger vorankommen möge.



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Stefan Jülly hat den Wunsch, dass der Ukrainekrieg so schnell wie möglich aufhören und wieder Frieden in Europa einkehren möge. Auch er glaubt nicht, dass die Preise wieder auf Vorkrisenniveau sinken werden. Die Coronakrise hat er einigermaßen gut überstanden, Kurzarbeit konnte vermieden werden. Doch dies kann er für die Zukunft nicht mehr garantieren. „Mit den Energiekosten muss etwas passieren; wir brauchen von der Politik nicht nur Worte, sondern Taten, um überleben zu können“, betont er.
So wie ihm geht es zahlreichen energieintensiven Handwerksbetrieben in Deutschland, die sich mit viel Willen, Energie und kreativen Ideen über Wasser zu halten versuchen.